Thursday, December 8, 2016

Paraschat Wejeze für NDR Schabbat Schalom, 10.12.16

Wir haben die Erwartung, dass wir etwas Gelerntes nicht verlernen können.  Unsere Leistungen sind oft so hart erkämpft, dass wir bei Mißerfolg nicht zugeben können, dass etwas verkehrt läuft. Das ist aber eine Art Fantasie. Wir wiederholen oft die gleichen Fehler. In einer Beziehung, zum Beispiel, nachdem wir jemanden verletzt und vielleicht verloren haben, finden wir Trost in unserem inneren Dialog darüber, was wir alles gelernt haben.  „Sicherlich,“ sagen wir, „war alles, was ich durch diese Beziehung gelernt habe, wertvoll!“ Und dann machen wir beim nächsten Mal die gleichen Fehler.

Wir sehen in der Thora eine archetypische Vorahnung dieses Zustands des Ab- und Aufstiegs. Wir lesen im ersten Buch Mose von der Jakobsleiter: Jakob, „. . . hatte einen Traum: Er sah eine Treppe, die auf der Erde stand und bis zum Himmel reichte. Auf ihr stiegen Engel G‘ttes auf und nieder.“ Nachdem Jakob wieder erwachte, bemerkte er: „Wirklich, der Ewige ist an diesem Ort und ich wusste es nicht.“ 

Um diese Geschichte zu verstehen, müssen wir zuerst das Wort „Engel“ in jüdischem Kontext analysieren. Das Wort für Engel auf Hebräisch ist „Malach.“ Statt einer Art himmlischen Wesens bedeutet „Malach“ Bote. Ein Malach ist etwas, das uns etwas beibringt. Wenn wir eine tiefere Realität nicht sehen können, dann bekommen wir unverhofft eine spirituelle Botschaft gesandt. Vielleicht ist es ein Brief von einem Freund und vielleicht ist es unser Kind, das zu uns sagt, „Warum warst du neulich so komisch?“  Vielleicht ist ein Malach aber auch ein Ereignis oder eine Nachricht. Ein Malach hält uns einen Spiegel vor’s Gesicht, so dass wir uns selbst klarer sehen können oder er zeigt uns, wohin wir gehen müssen.

In Jakobs Traum haben die Malachim, die Engel, nichts gesagt. Ihre Botschaft war einfach, dass sie auf- und abgestiegen sind. Was lernen wir daraus?

Erst vor wenigen Wochen hat die Welt gesehen, wie eine Gruppe von sogenannten „Alt-Right“ in den Vereinigten Staaten den Nazi-Gruß nachgeahmt haben. Sie haben auch „Hail Trump“ und „Hail Victory“ gebrüllt - ein klarer Bezug auf die NS-Zeit. Ich glaube aber, wenn wir heute so etwas sehen, nehmen wir es nicht ernst. Wir haben schon die Lehren aus der Vergangenheit gezogen. Wir sind älter, reifer, und Amerika im Jahr 2016 ist so ganz anders als Deutschland in den 1930er Jahren.      

Die Engel aber steigen auf und nieder. Eine Botschaft ist nicht nur etwas Positives. In unserer Geschichte haben wir so viele negative Taten begangen, dass es schwierig ist uns einzugestehen, dass wir vielleicht nicht so viel gelernt haben, wie wir dachten. Wenn wir so hart gekämpft haben, kann es sogar schwierig sein, unser gegenwärtiges Versagen zu erkennen. Wir wünschten uns, dass unsere Engel, Boten und unser Leben sich immer in einem aufsteigenden Prozess befinden würden.

Ich glaube aber, die wichtigste Aussage um die Geschichte von Jakob zu verstehen, kommt von Jakobs Zitat beim Aufwachen. „Wirklich, der Ewige ist an diesem Ort und ich wusste es nicht.“ Alltäglich wollen wir einen G’tt anerkennen, der uns irgendwie heilt, aufhebt und ins Licht bringt. Wir möchten die Leiter des Erkennens und der Spiritualität hinaufsteigen. Aber laut Jakob heißt die Gegenwart G’ttes alles anzuerkennen: dass das Leben voll von Auf- und Abstiegen ist. Anders formuliert: das echte Werk G’ttes heißt ein Absteigen unserer Gesellschaft klar zu sehen und anzunehmen. Der Ewige ist nur an diesem Ort, wenn wir aufhören zu glauben, dass unsere Niedergänge der Vergangenheit für immer in der Vergangenheit bleiben. Sie sind hier, an diesem Ort und wir als Menschen, die einst aufgestiegen sind, haben die Plicht, den Niedergang zu verhindern.


Schabbat Schalom